Ein Gespräch mit den Erfindern von Life is Strange 2 und warum es nicht "den einen" Weg zum richtigen Spielen gibt.

“Es gibt keine guten oder schlechten Entscheidungen im Leben. Es sind einfach nur Entscheidungen.”
Von Duncan Heaney

Kürzlich konnte das Team des Square Enix Blogs ein ausführliches Gespräch mit Life is Strange 2 Co-Creative Director Michel Koch und Texter Jean-Luc Cano über die letzte Episode der Serie führen.

In der ausladenden Unterhaltung ging es darum, wie man eine Fortsetzung aufbaut, wie Erfolg den Druck erhöht, warum Superkräfte ihre Besitzer eigentlich schwächen und und und...


Achtung: Dieser Abschnitt des Interviews ist weniger eine inhaltliche Betrachtung als viel mehr ein Gespräch über Themen, die Life is Strange 1 und 2 betreffen. Mehr über die Story gibt es in Teil 2.


Der erste Teil von Life is Strange wurde unglaublich positiv aufgenommen. Was hat dieser Erfolg für DONTNOD bedeutet?

Michel Koch: Wir haben es ganz sicher nicht so kommen sehen!

Als wir vor 5 Jahren begonnen haben, wollten wir einfach nur ein Spiel entwerfen, das wir lieben. Wir haben uns gar nicht so sehr darum gekümmert, ob es dafür ein Publikum gibt oder ob es so funktionieren würde - aber natürlich sind wir glücklich, dass es das tat.

Allerdings brachte dieser Mega-Erfolg eine Menge Druck mit sich für Teil 2. Wir mussten eine starke Story und ein gutes Charakter-Set finden.

Jean-Luc Cano: Niemand von uns möchte die Community enttäuschen.

Michel: Richtig- es ist eine unglaubliche Herausforderung, denn der erste Teil erzählte eine vollständige Story. Das war und ist immer unser Anliegen - in erster Linien möchten wir gute Geschichten erzählen. Um das zu schaffen, musst du Neues wagen. Du kannst nicht genau dasselbe nochmal machen, mit genau denselben Charakteren. Das zerstört jegliche Kreativität.

Wir wollten etwas Neues entwerfen. Neue Themen angehen, neue soziale Probleme betrachten und Personen aus allen Facetten beleuchten.


Life is Strange 2 wagt sich an Themen heran, die man sonst selten in der Form in einem Videospiel findet - Missbrauch, Alkoholismus, und Rassismus. Wie kannst du sicherstellen, dass du diese heiklen Themen mit ausreichendem Feingefühl angehst? Es soll nicht so aussehen, als wähltest du sie aus, weil du dein Publikum schockieren oder provozieren willst.

Michel: Eines unserer Ziele ist es, über die Dinge, die wir ansprechen möchten, auf die richtige Art und Weise zu sprechen.

Wenn wir anfangen, an einem Spiel zu arbeiten, greifen wir gern Elemente aus unserem eigenen Umfeld auf. Wir sind gewissermaßen selbst unsere Referenz. Das funktioniert natürlich nicht mit allem. Vor allem nicht mit den wirklich unangenehmen Themenfeldern, die wir in Life is Strange 2 angehen.

Also beginnen wir zu lesen, Biographien durchzusehen und Dokumentationen anzuschauen, um uns fundiertes Wissen anzueignen und zu lernen, wie wir uns diesen ausgesprochen ernsten Themengebieten vernünftig und sensibel annähern können.

Dann beginnt der eigentliche Schreibprozess. Der Startschuss für das neue Spiel wird gegeben, wir initiieren Focus Gruppen und versuchen, einen Einblick zu gewinnen, wie die Dinge wahrgenommen und empfunden werden. Wenn es uns nicht gelungen ist, die Themen perfekt umzusetzen, dann müssen wir das frühzeitig erkennen und die Szene neu schreiben. Nur dann kommen wir unserem Ziel näher.

Einige narrative Games stellen die Wahlmöglichkeiten sehr deutlich heraus - zum Beispiel Telltales bekanntes “Clementine will remember that” Botschaften, oder Detroit: Become Humans Ablaufpläne. Life is Strange 2 hält viele der Schlüssel-Entscheidungen vor dem Spieler verborgen - warum habt ihr euch für diesen Ansatz entschieden?

Jean-Luc: Wenn du eine Entscheidung im Leben triffst, wirst du nur in seltenen Fällen sofort erkennen, welche Konsequenzen diese Entscheidung wirklich hat. Diesen Ansatz haben wir in Life is Strange zu Grunde gelegt und wollten damit in Life is Strange 2 fortfahren.

Wir markieren für den Spieler deutlich einige Schlüsselentscheidungen, aber - genau wie im wahren Leben - gibt es eine Menge von Konsequenzen, die auf eher unbedeutende Entscheidungen folgen. Ein perfektes Beispiel ist, dass das Verhalten von Daniel durch die vielen kleinen Entscheidungen, die Sean trifft, nach und nach geformt und beeinflusst wird.

Das alles zahlt auf den übergreifenden Schwerpunkt "Verantwortung" in Life is Strange 2 ein. - Wenn du auf ein Kind aufpasst, beeinflusst dein Verhalten auch das Verhalten des Kindes. Daniel lernt von dir - wenn du zum Beispiel zum Dieb wirst, dann wird er vielleicht später genauso handeln.


Eine Sache, die ich richtig gut finde an Life is Strange ist, dass es zu keiner Zeit den einen "korrekten" Pfad für dich gibt, oder das eine "gute" Ende. Wie legst du eine Entscheidungsfindung an, so dass die Entscheidung tatsächlich dramatisch und bedeutungsvoll ist, ohne aber dem Spieler das Gefühl zu geben, dass er für seine schließlich getroffene Entscheidung bestraft wird?

Michel: Die Life is Strange Spiele sind aus dem Leben gegriffen, sie handeln von wahren Begebenheiten. Wir versuchen nicht, alles in Schwarz/Weiß einzuteilen. Stattdessen bieten wir "Schattierungen", "Grautöne".

Es gibt keinen vorgeschriebenen Lebensweg. Das Leben eines Jeden wird durch Entscheidungen, die im Laufe des Lebens gefällt werden, beeinflusst. Eine dieser Entscheidungen werden dich zurückwerfen, aber damit muss man leben. Genau das wollen wir in unserem Spielen herausarbeiten. Es ist jedoch nicht unsere Aufgabe zu urteilen, was richtig oder falsch ist.

Jean-Luc: Im Leben gibt es keine guten oder schlechten Entscheidungen. Es gibt einfach nur Entscheidungen.

Eine Sache, die mir in Episode One besonders am Herzen lag, ist, wie subtil Daniels Kräfte präsentiert werden - vor allem in der Startsequenz. Nichts daran ist "showy" - es passiert schnell und gegeben. Warum habt ihr euch entschieden, es auf diese Art und Weise darzustellen?

Michel: Nun, Life is Strange 1 und 2 handeln nicht von "Superkräften". Wir entwerfen keine ‘Sci-Fi’ Stories. Wir setzen diese übernatürliche Komponente nur ein , um eine weitere Ebene zu Story und Charakteren hinzuzufügen. So gelingt es uns die Schwäche der Charaktere stärker herauszustellen.

In Life is Strange ist Max noch ein Teenager. Sie hat noch keinen Plan, wer sie wirklich ist oder wer sie sein möchte. Sie ist an einem Punkt in ihrem Leben angekommen, an dem sie gezwungen ist, Entscheidungen zu treffen. Ihre besonderen Kräfte verstärken ihre Schwäche - ihr Pfad ist nicht länger vorgezeichnet, somit wird es deutlich schwieriger, den richtigen Weg einzuschlagen.

In Life is Strange 2 muss Sean Verantwortung für Daniel übernehmen - im Grunde wird er zur Vaterfigur. Dadurch, dass Daniel besondere Kräfte erhält, wird doppelt deutlich, wie viel Gewicht Seans neuer Aufgabe mit sich bringt.

Jean-Luc: Unsere Kräfte müssen auch im wahren Leben gewissermaßen geformt werden. Sie müssen in die Welt, die wir schaffen, hinein passen.

Aber, wie Michel schon sagt, Life is Strange ist kein Spiel über Superkräfte. Es geht nie darum, wo die Kräfte herkommen, oder dass sie erklärbar sein sollten. Es geht nicht um die Kräfte selbst, sondern um die Charaktere, die mit ihnen ausgestattet sind und die damit zurecht kommen müssen.


Dies war ein erster Einblick in den kreativen Prozess, der hinter der Life is Strange Serie steckt. Natürlich gibt es da noch viel mehr zu beleuchten.

Hast du schon Teil 2 unseres Interviews gelesen, den wir herrlich mit Spoilern zu Life is Strange 1 und 2 vollgepackt haben. Außerdem geht es um die Gefahren eines Fan-Service und wir führen eine offene Diskussion über einen gewissen Welpen...

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