Marvel's Guardians of the Galaxy - der Weg zum Karaoke

Warum ist ein optionales Karaoke-Duell eine der wichtigsten Szenen im Spiel? Hier erfahrt ihr, dass diese Story tiefer geht als ihr vielleicht denken mögt...
Von Duncan Heaney

Marvel’s Guardians of the Galaxy ist nicht nur gerne überraschend, es schwelgt geradezu im Unerwarteten.

Das wird kaum irgendwo deutlicher als beim optionalen Karaoke-Duell in Knowhere, wo Peter Quill sich ein durchgeknalltes musikalisches Gefecht mit einem ungewöhnlichen Außerirdischen liefert. Es ist schräg, schrullig und urkomisch - was auch perfekt das Spiel als Ganzes beschreibt.

Wir liebten diese Szene, weshalb wir nicht widerstehen konnten, uns von Creative Director Jean-Francois Dugas und Art Director Bruno Gauthier-Leblanc alles darüber erzählen zu lassen.

Was wir allerdings nicht erwartet hatten: Hier handelt es sich nicht einfach nur um einen kleinen Spaß. Tatsächlich liegen die Wurzeln dieser Szene in der Konzeption des Spiels selbst - und in gewisser Weise ist sie der Schlüssel zum gesamten Projekt.

Also lest unsere Story über diese auf den ersten Blick unwichtige Szene, die vielleicht eine der bedeutendsten im ganzen Spiel ist...

Was passiert in der Karaoke-Szene?

Peter Quill geht in eine Bar in Knowhere und wird mit einem ungewöhnlichen (und betrunkenen) Außerirdischen namens Lipless konfrontiert.

Anscheinend ist er ein alter Partner von Peter, auch wenn Star-Lord sich null an ihn erinnern kann. Was im allerdings klar ist: Der Kerl ist schwer bewaffnet, ziemlich zugedröhnt und scharf auf einen Sangeswettstreit.

Es liegt in der Hand der Spieler:innen, den Text für das Lied zu wählen, an das weder sie noch Peter sich erinnern können - und wenn sie falsch liegen, wird Lipless... nicht gerade erfreut sein.

Wenn ihr den Text aber trefft und das Lied schmettert, dann wird ein erfreuter Alien annehmen, dass mit eurer Beziehung wieder alles stimmt, und er wird euch mit einem Gratisticket zum richtig teuren Collector's Emporium belohnen - und zu all dessen großartigen Easter Eggs .

Es ist eine wunderbare Szene, die laut der Entwickler schon eine sehr, sehr lange Zeit existiert.

Marvel's Guardians of the Galaxy Trailer

Bescheidene Anfänge

"Als wir mit der Arbeit an Marvel’s Guardians of the Galaxy starteten", sagt Creative Director Jean-Francois 'JF' Dugas, "da brauchten wir einen Proof of Concept, also einen Machbarkeitsnachweis.

Wir legten ein paar grundlegende Gameplay-Ideen fest - dass man als Anführer der Guardians spielt, Unterhaltungen mit dem Team führt und Kommandos gibt. Aber auch wenn das auf dem Papier toll für uns klang, mussten wir etwas auf den Bildschirm bringen, um sicherzustellen, dass es auch den entsprechenden Spielspaß liefert."

Es war nicht nur wichtig, die Mechniken zu definieren, das Team wollte auch diese experimentelle Version des Spiels nutzen, um ihre eigenen Vorstellungen der Guardians of the Galaxy zu ergründen. "Wir wollten unser eigenes Wesen, unsere eigene Variante für das Team finden", sagt Dugas.

Es gab nur ein entscheidendes Problem: "Zu diesem Zeitpunkt hatte wir noch keine Story!"

The Guardians und Kammy das Weltraum Alpaca

Eine schräge Rettungsmission... und die Ursprünge von Weltraum-Alpaka Kammy

Ohne Story war es schwer für die Entwickler:innen, irgendeine Vision für das Team zu konkretisieren. Also mussten sie eine schaffen.

"Wir schrieben ein Storyboard und erfanden einen Teil der Geschichte, allein für den Proof of Concept", sagt Dugas. "Und da tauchten die Karaoke-Szene und Lipless zum ersten Mal auf."

"In dieser Geschichte sind die Guardians auf einer Mission, um ein Kind vor ein paar bösen Kerlen zu retten. Allerdings sollte sich das als Fake erweisen - das 'Kind' stellt sich als Baby-Ziege heraus! Wir fanden die Idee so toll, dass wir sie für das finale Spiel umfunktionierten - sie wurde die Inspiration für das Weltraum-Alpaka!

Auf jeden Fall geht man in eine Bar in einem kleinen Dorf, wo man Informationen zu dem vermissten Kind bekommt. So weit ging die Demo - wir wollten das Ganze mit einem Cliffhanger abschließen."

Als man dieses Szenario entwickelte, stieß das Team auf eine großartige Idee: einen 'geistigen Wettstreit'.

Marvel's Guardians of the Galaxy Screenshot

Eine tolle Idee

"Eine Reihe Leute im Team kamen mit der Idee eines 'geistigen Wettkampfes' zu mir", sagt Dugas. "Im Grunde würden Peter und die Guardians diesen Typen treffen und mit dem gemeinsamen Singen anfangen, auch wenn sie den Text gar nicht kennen. Sie sollten ihn im Verlauf herausfinden müssen.

Als man mir das präsentierte, war das Stück ein sehr berühmter 1980er-Rocksong. Ich liebte zwar die Idee, aber ich fand, dass es nicht funktionierte. Die Wahl des Lieds passte nicht, weil es so bekannt war - Peter mag den Song nicht kennen, aber ich tu's. Das zerstört das Ganze, weil ich plötzlich nicht mehr Peter Quill bin.

Aber die Jungs und Mädels liebten die Idee, und setzten sich wirklich für sie ein. Und ich realisierte, dass wir selbst einen Song erfinden müssten, damit ihn niemand kennen kann. Peter ist verwirrt, und als Spieler:in bist du genauso verwirrt. Du bist auf gleicher Höhe mit dem Charakter, weil du die genau gleiche Erfahrung hast wie er - du versuchst einfach, zu improvisieren."


Eine begeisterte Reaktion

Die Karaoke-Szene war ein großes Highlight dieser ersten spielbaren Demo. Laut Dugas lachten die Leute "so heftig, weil es so drüber und schräg war!"

Art Director Bruno Gauthier Leblanc stimmt zu: "Als wir alle diese Szene sahen, da realisierten wir, dass wir diesen komödienhaften erzählerischen Ton getroffen hatten. Danach wurde alles nur noch verrückter - ich glaube, das war ein Sprungbrett für unsere Autoren!"

Wo der Proof of Concept nun fertig war, begann die richtige Arbeit am Spiel. Aber als sich die echte Story des Spiels formte, fand das Team, dass sie dieses musikalische Intermezzo nicht bringen konnten.

Knowhere Konzept Artwork

Die Rückkehr des Duells

"Wir hatten unsere Blaupause für das komplette Spiel", erzählt Dugas, "und die Karaoke-Szene war nicht drin. Es gab in der Hauptgeschichte einfach keinen Platz dafür."

Erst als das Team mit der Entwicklung von Knowhere und seinen vielen Attraktionen, begann, sah Dugas die Chance, die geliebte Szene wieder ins Rampenlicht zurückzubringen. Das Problem war, dass sich nicht jeder so sicher bei dieser Idee war.

"Ich fragte den Animation Director: 'Können wir diese Szene, die wir uns vor ungefähr drei Jahren ausgedacht haben, irgendwie in Knowhere unterbringen?' Leider hatte er jede Menge zu tun, also sagte er im Endeffekt: 'Das wird schwer werden - ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.'

Es ging hin und her und schließlich stimmte ich zu, es in die Kategorie 'nett, aber nicht notwendig' einzusortieren. Aber irgendwann fand er die Zeit, sich das mal anzusehen, und realisierte, dass es schneller und einfacher wäre, wenn wir das Motion-Capturing neu machen würden."

Und genau das tat das Team dann auch - die Szene wurde mit frischen Motion-Capturing und harter Arbeit des Animationsteams neu erstellt und schaffte es ins Spiel.

"Als der Animation Director sie sah, musste er so arg lachen", sagt Dugas. "Er meinte: 'Okay, es war richtig, sie wieder reinzubringen!' Sie passt so gut zum Ton und zur Stimmung des Spiels."

Wiederverwenden und recyceln

Obwohl es die Szene ins finale Spiel geschafft hat, gab es einige signifikante Änderungen gegenüber dem Original. Zum einen war der Gesangspartner zunächst nicht Lipless... Der hatte eine andere Rolle.

"In dieser ersten spielbaren Version", sagt Gauthier-Leblanc, "suchten wir noch nach unserem Look und Stil. Wir hatten diese drei Alien-Wilderer geschaffen, einer davon war Lipless.

Wir spielten mit der Idee, dass sie die Gegner-Archetypen werden könnten. Wir dachten, dass man vielleicht auf Hoverbikes gegen diese Kerle kämpfen würde, bis wir realisierten, dass die Arenen Kilometer lang sein müssten, damit das funktioniert."

Die Arbeit war allerdings nicht umsonst, und diese Assets kamen wieder ins Spiel, als die volle Produktion startete.

"Du recycelst in jedem guten Spiel. Du wirfst niemals Sachen weg", sagt Gauthier-Leblanc. "Beispielsweise sind überall in Knowhere diese Hoverbikes geparkt, und man verwendet sie, um Lady Hellbender zu entfliehen.

Und einige der Alien-Kreaturen in Knowhere sind genau diese Typen!"

Aber Lipless wurde in einer erheblich prominenteren Art zurückgebracht, als großer Star der Karaokeszene.

"Lipless war so abgefahren mit seinen Riemen", sagt Gauthier-Leblanc, "und sein Gesicht ist einfach nur schräg. Wir haben ihn für diese Szene neu gestaltet, aber wir haben uns an das vorherige Design gehalten.

Es funktioniert einfach perfekt - da draußen ist es ja wirklich bizarr, und das passt so gut zu den Guardians of the Galaxy."

Die Freuden des Weglassens

Mit am interessantesten an der kompletten Lipless-Szene ist allerdings, dass sie viele Spieler:innen gar nicht zu Gesicht bekommen werden. Die Szene trägt sich nur zu, wenn ihr zur richtigen Zeit die Bar betretet. Angesichts dessen, wie viel Arbeit in sie geflossen ist, mögt ihr euch vielleicht fragen: Stört es das Team, dass die Spieler:innen ihr Werk womöglich gar nicht erleben?

"Wenn man das Team fragt, dann ja", lacht Dugas. "Es freut sie wahrscheinlich nicht besonders, wenn jemand sie verpasst! Aber tatsächlich ist das ja Absicht.

Ein Teil meiner Philosophie bei den Spielen, an denen ich arbeite, ist: Ich will, dass die Erfahrung - so gut es mit dem anvisierten Design möglich ist - darauf zugeschnitten ist, wie man spielt.

Beispielsweise das Gefühl des Entdeckens, wenn man auf etwas Unerwartetes stößt. Oder wenn man mit jemandem über das Spiel spricht und der dann etwas beschreibt, das man selbst nie gesehen hat - das sind Sachen, die einen realisieren lassen: 'Oh wow - das Spiel hat mehr Tiefgang, als man auf den ersten Blick meint.'"

Deus Ex Human Revolution Screenshot

Diesen Ansatz verfolgt Dugas bei vielen seiner Spiele:

"Dasselbe gilt für Deus Ex: Human Revolution und Mandkind Divided", sagt er. "In Deus Ex: Human Revolution beispielsweise gibt es eine Polizeistation, aus der man einen Chip besorgen muss.

Es gibt so viele Möglichkeiten, das zu tun - du kannst dich beispielsweise reinschleichen und das Polizeibüro am Eingang des Gebäudes komplett umgehen. Du bekommst hier eine Menge Hintergrund für deinen Charakter Adam Jensen, aber du kannst das auch total verpassen!

Das Team meinte damals nur ‘JF, warum?! Das hat eine Menge Geld gekostet und die Leute werden es nicht zu Gesicht bekommen!' Und ich verstehe das schon - für das Team ist das hart, weil sie so viel Mühe reingesteckt haben. Aber hier und auch bei Marvel's Guardians of the Galaxy glaube ich, dass das zu einer stärkeren und persönlicheren Spielerfahrung führt."


Die finale Karaoke-Szene ist wirklich etwas Besonderes - wenn ihr beim Spielen auf sie gestoßen seid, dann wisst ihr genau, was wir meinen. Und falls ihr sie verpasst habt, solltet ihr in der Kapitelauswahl auf Knowhere klicken und sie euch mal ansehen. Sie ist wirklich denkwürdig.

Falls ihr Marvel's Guardians of the Galaxy noch überhaupt nicht erlebt habt, dann solltet ihr das aber schleunigst tun! Das Spiel ist für PS5, PS4, Xbox Series X|S und PC verfügbar.

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